*** TRANSMETTERE È DIVERTENTE - Senden ist ein Vergnügen ***


    Nach einer langen, von der Analyse des Mediums Rundfunk beanspruchten 
    Inkubationszeit beginnen Ende Jänner 1976 die ersten Probesendungen[1]:


       "White Rabbit" von Jefferson Airplaine - wird leiser

                                   Hier Radio Alice, endlich Radio Alice.
                                   Ihr hört uns auf der Frequenz von 
                                   100.6 Megahertz und werdet uns noch 
                                   lange hören, wenn uns nicht vorher 
                                   die Deutschen umbringen

       Musik wird lauter[2]


    Am 9. Februar nimmt Radio Alice dann den regulären Betrieb auf. [...]

    Am Morgen des ersten Tages wünscht eine sanfte Frauenstimme - mit 
    indischer Musik Im Hintergrund - den Hörern einen guten Morgen und 
    fordert sie auf, im Bett zu bleiben:

     
       "Eine Einladung an euch, heute morgen nicht auzustehen, mit  
       jemandem im Bett zu bleiben, euch Musikinstrumente zu bauen  
       und Kriegsmaschienen."[3]                                       
     

    Das Unerhörte dieser verführerisch vorgetragenen Ansage lag nicht 
    allein in der gewagten Aufforderung[4] - und was soll das schon heißen, 
    "Kriegsmaschinen"[5] zu ersinnen?

    Entscheidender, daß hier eine Grenze überschritten wurde: der
    erste Schritt war getan "vom kritischen Konsum des schon Gegebenen
    wie des schon Gesagten zur kritischen Produktion"[6].

    Radio Alice hatte sich gegen die massenmediale Nicht-kommunikation 
    eine Stimme erobert. Eine Stimme, die niemandes Sprachrohr sein
    wollte, weder Verkünder der Wahrheit, noch Animateur der
    sogenannten Basis: "Das Radio als Ausgangshypothese, als Spiel,
    weder Ziel noch befreiende Praxis."[7]

    Das Spiel konnte beginnen.



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    aus: Clemens Gruber, Die zerstreute Avantgarde.
         Wien, Köln: Böhlau 1989. S. 44f.
      
    [1]  Einige Sendungen sind abgedruckt in: Collettivo A/traverso, 
         Alice è il diavolo. Sulla strada di Majakovskij: testi per
         una practica di communicazione sovversiva, (Hrsg. v. Luciano
         Cappelli und Stevano Saviotti), Mailand: L'Erba Voglio 1976; S. 12 ff;
         dt: Kollektiv A/Traverso, Alice ist der Teufel. Praxis der 
         subversiven Kommunikation. Radio Alice (Bologna), aus dem 
         Ital. v. K.F. Kassel und F. Carotta, Berlin: Merve 1977, S. 22 ff. 
    
    [2]  Ebd., S. 12 (22); "White Rabbit" eine Anspielung auf das 
         weiße Kaninchen aus Alice in Wunderland.

    [3]  Ebd., S. 38f (50).

    [4]  Damit wird einer von Chlebnikovs alten "Vorschlägen"(1914/16) 
         wieder aufegenommen: "Die Kunst des leichten Erwachens aus dem 
         Schlaf zu entwickeln." In Velmir Chlebnikov, Werke, Bd.2,
         Reibek: Rowohlt 1972, S 227.

    [5]  Der Begriff stammt von Deleuze und Guattari: "Was haben die Nomaden
         gemacht? Gegen den Staatsapparat haben sie Kriegsmaschinen erfunden,  
         die etwas ganz anderes sind als der Staatsapparat." Gilles Deleuze, 
         Félix Guatttari, Rhizom, Berlin: Merve 1977, S. 39.

    [6]  Collettivo A/traverso, Alice è il diavolo, a.a.O., S. 95 (108).

    [7]  Ebd., S. 97 (101).